Ich bin weder erwacht noch erleuchtet. Ich muss sogar gestehen, dass mich die Frage beinahe überfordert hätte, da bei mir alle Vorstellungen und Ideen darüber, was Erleuchtung oder Erwachen sein könnten, verschwunden sind. Es ist nicht so, dass ich die Konzepte nicht nachvollziehen könnte. Auch ich war ein spiritueller Sucher, allerdings haben sich alle Vorstellungen über diese “hohen Ziele” vollständig aufgelöst. Sie haben sich aufgelöst, indem sich der Sucher selbst als Illusion entpuppt hat. Seither ist niemand mehr da, der sucht, aber es gibt auch niemanden, der gefunden hat. Das Erleben, ein 'Ich' zu sein, ist völlig substanzlos. Witzigerweise stellt sich dabeiheraus, dass es nie ein 'Ich' gegeben hat und auch in der Suche niemals ein 'Ich' gesteckt hat. Alles entpuppt sich als ein scheinbares Geschehen, das zeitlos vollkommen ist. Das, was scheinbar passiert, ist alles. 

 

Gleichzeitig ist das, was scheinbar passiert, nichts Wirkliches. Es ist nichts und alles. Wenn sich das Ich als illusionär entpuppt, bezeichne ich es manchmal als 'Befreiung'. Allerdings wird niemand befreit. Das, was scheinbar passiert, ist völlig mühelos es selbst. Es ist bereits frei, genau das zu sein, was es ist: Eine Welt mit Menschen und Tieren, eine Welt mit Pflanzen und Autos, eine Welt mit Gedanken und Gefühlen. Das ist die natürliche, unerlebte Realität, die bereits frei ist und vollkommen. Es war nie jemand getrennt von dieser natürlichen Realität und es gibt auch niemanden, der in ihr ankommen wird. 

 

Und so könnte vielleicht Folgendes gesagt werden: Befreiung ist das plötzliche Ende der Illusion, dass es ein Ich gibt, das erleuchtet werden oder erwachen kann. Die Sehnsucht nach einem tiefen Ankommen, nach dem sich das Ich so sehr sehnt, endet. Dann offenbart sich die natürliche Realität. Diese Offenbarung geschieht nicht “für jemanden”; scheinbar bleibt einfach das übrig, was passiert. Alles ist es selbst, allerdings gibt es nichts mehr, das sich von den Dingen abspaltet und sie als getrennt erlebt.

 

Das ist, was das Ich-Erleben ausmacht: Das Gefühl, etwas Eigenes und von den Dingen getrennt zu sein. Im Ich-Erleben fühlt es sich so an, als ob man ein eigenständiges Wesen wäre – ein Gewahrsein, eine Präsenz, ein Geist – und von allem anderen getrennt wäre. Es scheint dieses Gefühl der Trennung zu sein, das ein Unbehagen mit sich bringt und nach Erlösung ruft. Aus diesem Unbehagen erwächst die Hoffnung, dass man ein erwachtes oder erleuchtetes Ich werden kann. Natürlich gibt es im Ich-Erleben immer wieder Erfahrungen, die sich wunderbar frei, nach tiefer Liebe oder tiefem Frieden anfühlen. Es schafft jedoch keine dieser Erfahrungen, die Suche zu beenden. Egal wie viele Male man diese Momente erlebt, sie scheinen nie zu dem tief ersehnten, endgültigen Ankommen zu führen. Anstatt jedoch aufzugeben, sucht das Ich weiter.

 

Die frohe Botschaft ist, dass das suchende Ich keine Substanz hat. Es ist niemand da, der “Erfüllung” verloren hat und “Erfüllung” wieder finden müsste. Das, was scheinbar passiert, ist bereits die ungetrennte, natürliche Realität, die völlig mühelos sie selbst ist. Nichts ist getrennt von dem, was scheinbar geschieht und nichts benötigt ein zusätzliches Ankommen. “Ich muss erleuchtet werden” ist die Illusion. Nichts in dieser scheinbaren Erscheinung muss und kann erwachen. Das, was scheinbar passiert, ist bereits alles – und dabei frei und vollkommen für niemanden.

 

Andreas Müller

2009 begegnete er Tony Parsons und dessen kompromissloser Botschaft: Zuerst war ich schockiert. Obwohl ich schon viel gewusst und erlebt hatte, war dies etwas Neues und Unerwartetes. Plötzlich hörte ich ohne Grund, was Tony sagte, und bald war es unbestreitbar: Es gibt niemanden. Seit 2011 bietet Andreas, von Tony ermutigt, seine Talks an.  

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