Vorstellungen gehen immer aneinander vorbei. – Wenn ich mir vorstelle, wer Du für mich sein sollst, dann werde ich Dich niemals treffen, dann werde ich niemals wirklich von Dir berührt sein – aber immer wieder enttäuscht. Weil die Bilder, die ich mir von Dir mache, nicht bestätigt werden. Und das ist gut so. Weil ich Dich in meinen Bildern über Dich nicht entdecken kann! Und wenn ich genug davon habe, enttäuscht zu sein, dann schaue ich dem Enttäuschten auf den Grund und werde entdecken, dass da, wo Enttäuschung ist, jemand nicht bereit ist, sich selbst zu empfangen. Denn wenn Du anderen Menschen gegenüber Vorstellungen hast, hast Du sie auch Dir selbst gegenüber. Und gehst damit immer wieder unentdeckt an Dir vorbei. 

 

Allein deshalb möchtest Du ein anderer sein, als der, der Du bist. 

Weil Du immer noch nicht bereit für Dich bist. In Dir ist es einfach noch nicht still genug, nicht offen genug. Für Dich als Wirklichkeit. Dabei sehnt sich alles in Dir danach, dass Du diese Einmaligkeit entdeckst, die im Raum Deines Lebens zu sich kommen will. Und dieser Raum lässt sich nur von hieraus und damit frei von jedem „vorgestellten Du“ erkunden. Erst wenn Du Dir Dein Leben nicht mehr zwanghaft ausmalen musst und damit eine Zukunft, die es nicht gibt, erst wenn Du wirklich bereit bist, in Dich als diesen Menschen einzutreten, um Dich in aller Offenheit zu empfangen, wirst Du anfangen zu spüren, dass es Dich gibt! Dich!

Dann wirst Du wahre Gefühle fühlen und wahre 

Gedanken empfangen. Dann wirst Du wahre Begegnungen und ein erfülltes Leben haben, schlicht, weil Du hier bist. Hier, bei Dir. Und damit bist Du bereit für Dich als Wirklichkeit. Allein das lässt Dich Deine übersteigerten Gedankenwelten durchschauen und aufgeben. Weil diese Gedankenwelten, die sich einfach immer wieder etwas ausmalen und vorstellen, Gedankenwelten sind, die enttäuscht werden müssen. 

 

Jetzt siehst Du, was dem wahren Selbstempfang im Wege steht: Eine Nichtbereitschaft. 

Die sichere Annahme, dass Du es nicht wert bist, dass Du es so, wie Du bist, nicht wert bist. Dass Du es nicht bei Dir aushalten kannst. Allein aus diesem Grund hast Du ja Vorstellungen über Dich und die Welt entwickelt. Weil die Instanz, die es nicht bei Dir aushalten kann, die Instanz ist, die überhaupt keine Ahnung davon hat, wer Du in Wirklichkeit bist. Weil es eben das Laute in Dir ist, das Vordergründige und Wegführende, das immer wieder alles anders haben will. Und allein deshalb nicht in der Lage ist, wirklich zu spüren. Es ist der Enttäuschte, der kleine Schreihals, der Bedürftige, der sich immer wieder zum Opfer der Umstände macht. – Aber das bist nicht Du. So bist Du nicht! – Du bist Selbstberührung, die sich in diesem Leben unbedingt berühren will und damit immer öfter berührt ist. 

 

Plötzlich siehst Du in glänzende Augen. Du siehst Vielfalt, und darin eine vollständige Unschuld. Du nimmst wahre Individualität wahr, die sich nicht darzustellen versucht. Du siehst immer öfter eine unmittelbar lebendige Welt, die sich vollkommen selbst entspricht. Und diese Welt hat nichts mit 

Deinen Vorstellungen gemein. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, so zu sein, wie Du sie Dir vorstellst. Nein, die wahre Welt ist eine Welt, die so wirklich ist, dass sie sich selbst zeigt. Sie ist kein Schattenreich, das sich Deinen Vorstellungen gemäß verhält. Und auch Du selbst bist kein Schatten, der sich Deinen Vorstellungen gemäß zu verhalten hat. – Nein, dieses Leben, das Du jetzt aus der Bereitschaft heraus entdeckst, Dich selbst zu empfangen, ist das einzig wirkliche Leben, ein 

lebendiges Leben. Es ist die einzige Welt, die sich selbst berührt und dabei zutiefst anwesend ist. Damit „wirst“ Du zur Welt, die aus dem Augenblick heraus entsteht – und empfängt. 

Für diesen Selbstempfang bedarf es eines Reifseins, das durch Bereitschaft und Stille entsteht. Denn Du weißt nicht, wer Du sein sollst. Und Du musst es auch nicht wissen. Du musst es nicht wissen, wie etwas, das Du weißt. Du bist viel direkter, viel unmittelbarer. Du bist hier und spürst Dich in Form Deiner Tränen, in Form Deines Leichtseins. Du tanzt und bist traurig, berührt, erschüttert. Du staunst, bist sprachlos und weißt nicht weiter. – Und all das darf sein und sich spüren. All das ist, was Leben ist. Nichts davon ist falsch. 

 

Aus dieser direkten Bedeutung heraus denken sich vollständig andere Gedanken. Verbundene Gedanken, echte, sich selbst empfindende Gedanken. Gedanken, die etwas mit Dir und Deinem Leben zu tun haben. Gedanken, die Dich wirklich erreichen. Und diese Gedanken haben eine unmittelbare Bedeutung, die sich fühlen lässt. Damit sind es keine wegführenden Gedanken mehr, keine flüchtenden. Keine, die sich irgendetwas vorstellen, was mit nichts und niemandem etwas zu tun hat. Jetzt erkennst Du unmittelbar, dass Vorstellungen dieser Art einfach aus einer Nichtbereitschaft heraus entstehen. Hier flüchtet jemand ins Mentale – vor sich selbst als Wirklichkeit! 

 

Wenn diese Flucht nicht erkannt wird, kann sie ewig dauern. Weswegen ich mich ständig wieder wie ein Betrogener, wie ein Enttäuschter, wie ein vom Leben Benachteiligter fühle. Weil ich ein Enttäuschter und Betrogener und Benachteiligter bin! Weil ich es selbst bin, der mich betrügt – um mich selbst! Durch meine Vorstellungen über mich. Denen ich immer wieder folge. Ich betrüge mich selbst um mich selbst als unmittelbare Erfahrung, als Berührtsein. Ich betrüge mich darum, dieses Leben wirklich zu empfangen und in Dankbarkeit zu (er)leben. Ich betrüge mich um die Entdeckung dieses Lebens und ziehe es vor, als ein ewig Enttäuschter vor mich hinzuleben. Und das kann nicht die Wahrheit sein! 

 

Wenn Dich ein anderer Mensch wirklich berührt, lässt Du ihn Dich berühren. Dann stellst Du Dir nichts anderes vor. Doch sobald Dich Deine Vorstellungen übernehmen, musst Du Dich enttäuscht und betrogen fühlen. Weil der andere nicht dazu da ist, Dir zu entsprechen. Nein, seine wahre Auf-gabe besteht darin, sich selbst zu empfangen. Und eben darauf kann Dich Dein Enttäuschtsein über den anderen hinweisen: Dass Du Dich selbst immer wieder täuschst, solange Du Dir als mentaler Überlagerung folgst und damit immer wieder vergisst, dass Deine wahre Aufgabe darin besteht, Dich selbst zu empfangen! 

 

Und wenn zwei sich selbst Empfangende miteinander tanzen, dann ist das ein lebendiger Tanz, ein großer Tanz. Dann ist es ein wilder, ein freudvoller Tanz. Dann darf geweint und nicht gewusst werden. Dann können wir still beieinander sein. Dann können wir uns unsere Welten wirklich zeigen und miteinander fühlen. Dann werden Gedanken zu inspirierenden Gedanken, zu erweiternden Gedanken und damit zum Gegenteil von gewöhnlichen Gedanken, die uns in unserem wahren Ausdruck und Empfinden immer wieder begrenzen. Weil sie etwas Bestimmtes von uns wollen und uns als wahre Möglichkeit ausschließen – um an unserer Stelle und auf unsere Kosten zu leben!

 

Darum, wenn Du von der Liebe träumst, empfange Dich selbst. Das ist der erste Schritt. Dich selbst zu empfangen bedeutet, ganz für Dich als dieses Leben bereit zu werden, um Dich von hier aus führen zu lassen. In ein Leben hinein, das weit über Dich hinausgeht. Und sich Dir in seiner Bedeutung ganz zeigt, wenn Du bereit bist bei Dir zu bleiben und still zu sein. Das ist das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Das sich selbst empfängt. Weil Leben Liebe ist.

 

© Daniel Herbst, Hamburg   Mehr Infos...

 

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