Als ich klein war, wollte ich Regenwürmer vermehren und schnitt sie daher in der Mitte durch. Das fand ich sinnvoll. Aus einem Leben mach zwei. Besonders faszinierend war, dass sich beide Hälften in unterschiedliche Richtungen davonschlängelten und sich offensichtlich nicht mehr erkannten. 

Entstehen so Dualseelen für Regenwürmer? 😊

 

Mit etwa acht fand ich den Sinn des Lebens auf alten Gräbern neben unserem Haus, einem uralten überwucherten katholischen Friedhofsgarten. Mir war damals schon klar, dass wir alle aus dem Himmel kommen und dahin wieder zurückgehen werden und das Leben dazwischen was Besonderes ist. Liebevoll kratzte ich das Moos aus den Namen und las sie mir selber vor. So fand ich eine neue Freundin, Katharina irgendwas, gestorben 1823. Hingebungsvoll saß ich auf dem alten Grab, erzählte ihr alles Mögliche und fand es toll, eine Freundin im Himmel zu haben die schon lange keiner mehr kannte außer mir. 

 

Katharinas Schneeglöckchenwiesen räuberte ich im Frühling mit ihrer Erlaubnis vom Grab und verkaufte kleine Sträußchen auf dem Marktplatz. Mir damit heimlich Süßigkeiten zu kaufen empfand ich als Sinn des Lebens und hätte ich damals einen Wunsch frei gehabt, hätte ich ihn für einen lebenslangen Dauerlutscher eingetauscht.

 

Da ich mir meistens selbst überlassen war erlebte ich die Natur als Erdmutter und Seelentröster und flüchtete bei Regen im Wald in die Umarmung nasser Äste, baute mir Unterschlupfe und empfand den Sinn des Lebens als die Fähigkeit, gar nichts und niemanden zu brauchen und aus nichts etwas machen zu können. 

Als das in Jugendjahren nicht mehr reichte, fand ich heraus, dass Feminismus nichts für mich ist, weil ich Männer einfach viel zu toll fand, dass nur Müsli-Öko-Verzichtsgeschichten mich langweilten, dass man gegen Atomkraft mit Hütten nichts ausrichten kann und dass ein Mercedes mit einem Legalize Cannabis Sticker, heimlich bei Nacht verteilt, auch nichts änderte. 

 

Nichts fühlte sich sinnvoll an außer high sein und nichts mehr fühlen oder high sein und Nächte durchreden über die Dinge hinter den Dingen. Ich sah ja schon als Kind vieles, das kein anderer mit mir teilen konnte und ich ging zugrunde vor Einsamkeit. Der Tod kam mir ziemlich nah in Teenager-Zeiten von Drogen, da fand ich endlich Gleichgesinnte, wir sahen und fühlten das Gleiche. Und fanden das Leben scheiße! Wir wollten ein anderes. Ein Leben mit Sinn.

 

Also ab in die Natur: Korbflechten, Töpfern, Konservieren, Wolle Spinnen, Gemüseanbau, Hühnerzucht… alles selber machen. Der Sinn des Lebens war das Ziel, Unabhängig zu sein vom herrschenden System. Gesund-Sein! Ich träumte von Lebensgemeinschaften mitten in der Natur mit Menschen die sich alle lieben. Im Einklang sein mit allem, frei sein, das zu finden wurde der Sinn des Lebens für mich. 

 

Die Wirklichkeit war spannender als jeder Traum davon: Ich liebe Deine Seele, aber Deine Persönlichkeit ist ein Arschloch! Ego-Polishing vom Feinsten, Gruppenkuscheln als kollektiver Versuch der Trauma-Heilung, das war auch nicht wirklich die Antwort.

In den spanischen Pyrenäen erlebte ich als Teil einer internationalen spirituellen Lebensgemeinschaft den Sinn des Lebens als Weg zur Erleuchtung. Ich erinnere mich an die großartige Vorstellung von mir selbst, wie ich wäre und mich fühlen würde, wenn ich mich dann in 7, 9 oder 12 Jahren (mit Nachsitzen) endlich durch Dienen, Verzicht und Nichtidentifizieren mit gar nichts für die Erleuchtung qualifiziert hätte. Ich sah mich in allüberfließender Liebe umkränzt von Erleuchtungsmiasmen in totalem nicht endendem Glück ekstatischen Daseins. Mein Ego vollkommen überwunden, transformiert für immer, angebunden an die Quelle göttlichen Ursprungs, nein, die Quelle SEIN! Ich sah mich alleinheitlich verbunden mit allen Wesen in unendlicher bedingungsloser Liebe.

Und tatsächlich, genauso war es! Der Sinn des Lebens, ich hatte ihn gefunden! Juhu! 

Zumindest zeitweise. Irgendwie war es toll alle zu lieben, selbst den letzten Idioten, mein Ego war voll stolz darauf! 😊 

 

Trotzdem wollte ich den Gedanken an einen Partner an meiner Seite nicht aufgeben, konnte kein entweder oder akzeptieren und zog weiter. Nun war der Sinn des Lebens, einen spirituellen Mann zu finden. Den fand ich auch, dieser liebte in seiner Erleuchtungsphase aber alle Frauen, nicht nur mich, das fand mein Ego, das dann doch plötzlich viel Raum einnahm, gar nicht cool und für meine Bindungsverlusttraumata aus früher Kindheit war es auch nicht wirklich förderlich.  😊 

Mutter zu sein, das war der Sinn des Lebens! Mit Leidenschaft erlebte ich schon in jungen Jahren Schwangerschaft, Stillzeiten und das Aufwachsen und Gedeihen meiner Kinder. Lange Zeiten größten Glücks. Der Sinn des Lebens war, meinen Kindern den Weg ins Leben zu ebnen, Familie zu sein, sie vor allem Bösen der Welt zu bewahren. 

Mit 44 durchlebte ich Seins-Erfahrungen in tiefstem Schmerz. Als mein wundervoller geliebter Sohn mit nur 21 Jahren starb, tödlich verunglückte am Weihnachtsabend, dachte ich, das Glück des Lebens ist für immer vorbei, nie wieder werde ich auch nur eine Sekunde Glück fühlen können. 

Der Sinn des Lebens war plötzlich nur noch, am Leben zu bleiben. Weiterleben. Weiteratmen. Für die anderen Kinder da sein. Überleben. Der Tod, mein intimer Begleiter, unerwartet, plötzlich war ER an meiner Seite. Bestimmte mein Leben, mein Fühlen, meinen Blick auf die Welt. Mein Sohn, ein Weltenwanderer, ich konnte ihn spüren, sehen, die Grenzen verschoben sich und ich verstand mehr denn je: wir alle kommen aus der großen Quelle und wir gehen in sie zurück. Dazwischen das Leben. Kürzer oder länger. Was bleibt ist die Liebe. Was zählt ist der Augenblick. Das ist die Wahrheit. 

In schwersten Zeiten wurde ich mir selbst zur besten Gesellschaft. Dankbar für jeden Moment des Lebens. Für alles was DA ist. Dankbarkeit als Abkürzung ins Glück. 

In Verbindung zu sein mit dem Leben selbst, das ist der Sinn des Lebens. 

Therapeutisch tätig zu sein, Menschen zu begleiten auf dem Weg in ihr eigenes SEIN, später auch mit der Systemischen Arbeit, das wurde und ist tatsächlich auch Sinn meines vollen und erfüllten Lebens. Heute ist der Sinn meines Lebens möglichst vielen Menschen auf dem Weg ins wirklich eigene wahre Ich zu begleiten, abgespaltene Seelenanteile zurückzuholen in die Ganzheit. Menschen auszubilden und diese Methode weiterzugeben als einen wertvollen Schlüssel für das Leben und in die berufliche Selbständigkeit.

Der Sinn des Lebens ist für mich auch, Verletzlichkeit aushalten als Wesen, die von Größerem bewegt werden. Liebe wagen. Offen sein. Stabile Bindungen leben. In Liebe sein.

In Freude das Leben als Geschenk betrachten, es ist das Größte das wir haben. Dem Fluss der Energien zu vertrauen.

Uns als Mitschöpfer Gottes zu erfahren und unsere persönlichen Spielräume dafür zu nutzen. Realität mitzugestalten. Wenn wir in Verbindung sind, sind wir im JETZT. Das Paradies ist hier, im JETZT. In jedem von uns. Immer.

 

Ich schreibe diesen Text auf Zanzibar, wo ich gemeinsam mit Abbas das Laguna Palace Zanzibar Resort aufgebaut habe und zeitweise lebe. Mitten in Afrika irgendwo im Busch am Indischen Ozean. Und jetzt frage ich mal weiter: Was ist der Sinn des Lebens?

 

Das sagte daraufhin Simon, Massai 

(Mitarbeiter und Freund, abends am Feuerplatz):

 

Der Sinn des Lebens ist für mich dem Honigvogel zu folgen. Du weißt genau, wenn du ihm folgst, dann wird er dich zum Honig führen, oder ans Wasser, oder zu einem Tier, das du jagen kannst. Du weißt auch, dass du, um ihm zu folgen, Ungewissheit auf dich nehmen musst. Vielleicht führt er dich durch die Steppe, durch schwarze Nacht, durch gefährlichen Dschungel, durch große Angst, aber du musst ihm trauen. Folge dem Honigvogel, vertraue ihm, er bringt dich ins Glück.

Wer ihm nicht folgt, verpasst das Leben.