Thomas  Lieber Soham, ich freue mich, Dich für dieses Interview zu treffen. In Deinem Leben hat sich Erstaunliches ereignet und das interessiert mich sehr. Du hast 2018 und 2019 den indischen Meister Swamiji besucht. Bist du in gewisser Weise noch einmal Schüler geworden?

 

Soham: Nun, ich war immer Schüler und ich werde immer mehr ein Schüler. Swamiji benutzt übrigens nicht den Begriff ‚Meister‘, sondern die Begriffe ‚Satguru‘ oder ‚Medium‘.

Thomas: Man sagte ja vorher schon, dass Du erleuchtet bist. Bist du jetzt erleuchteter? 

(Lachen)

Soham: Ja, und es wird immer mehr – es ist enorm!

Thomas: Würdest du sagen, dass durch eine allgemeine Veränderung auf diesem Planeten neue Bewusstseinsstufen entstehen?

Soham: Ja, wir sind am Anfang von einem großen Ereignis, das noch 800 Jahre dauern kann und wir können ein Teil dieser Entwicklung sein. Das ist toll!

Thomas: Kann das auch ein Mensch erleben, der vielleicht noch nie etwas von Satsang und dieser Entwicklung gehört hat? Muss man ein bestimmtes Bewusstsein haben, um sich zu öffnen?

Soham: Das ist eine gute Frage. Die meisten Menschen fühlen ja während des Satsangs unmittelbar eine Resonanz. Die Samen, die nun gesät werden, werden sich in den kommenden Jahrhunderten entfalten.

Thomas: Du hast einmal gesagt, dass du dich nicht als Lehrer siehst. 

Soham: Ja, ich fühle mich eher als Vermittler, weil man die Wahrheit nicht lehren kann. Man kann sie aufnehmen, sie kann absorbiert werden. Wenn wir offen und verbunden sind, dann geschieht es einfach. Uns wird Selbsterkenntnis geschenkt und es liegt in unserer Hand, das zu leben. Das ist die Aufgabe. Einerseits ist das leicht, andererseits aber auch sehr schwierig, denn unsere alten Gewohnheiten müssen wegfallen. Wir haben die Gewohnheit, auf verschiedenste Weise unbewusst zu sein. Von uns ist aber gefragt, so bewusst wie möglich zu sein, so gut wir können. Das ist unser Beitrag. Nur das ist nötig.

Thomas: Diese Muster und alten Gewohnheiten – wird es durch die Veränderung leichter, sich von ihnen zu lösen?

Soham: Manche Dinge fallen einfach weg – mühelos. Andere Dinge kleben etwas länger. Da kann ich ganz persönlich berichten, wie es für mich ist. Es geht um meine Bereitschaft einfach hier zu sein. Es gibt sehr viele Möglichkeiten weg zu driften. Einfach hier sein – da gibt es Widerstand, das macht sogar Angst, als wäre etwas in meiner Psyche, das sagt: „Nein, du darfst nicht einfach nur sein!“ Ich muss die ganze Zeit irgendetwas tun. Wirklich im Ruhemodus zu sein, ohne etwas zu tun – das macht Angst.

Thomas: Und zugleich ist es wunderbar! Das Herz geht auf und nichts anderes gibt es zu tun! Aber es fällt nicht immer leicht.

Soham: Ja, es ist nicht schwer und doch ist es manchmal schwer. Das ist ok. Aber wenn wir uns einmal dafür entscheiden, dann ist es nicht unmöglich, nicht einmal schwierig. Nur dieses Umschalten ist erstaunlich. 

Wie hat Swamiji gesagt: Zuerst wird dir alles gegeben. Und es ist wirklich leicht. Dann aber musst du am Finger des Gurus festhalten. 

Mir gefällt dieses Bild sehr, denn es ist wie ein Kind, das Papas Finger hält. Das müssen wir lernen. Wenn wir das einmal gelernt haben, ist es kein Problem mehr. Für mich ist es revolutionär und wirklich erstaunlich. 

 

Es gibt noch ein anderes Bild: mit der Aufmerksamkeit bei den Füßen des Gurus zu sein. Das ist ein Gleichnis für ausgerichtet sein, in der Mitte, auf dem Weg bleiben. Das ist pure Freude, wenn wir das machen ist es überhaupt nicht schwierig. Und dann vergessen wir es immer wieder. Es geht also darum, sich immer wieder zu erinnern. Wenn du jeden Morgen die Meditation (die Samarpan-Meditation A.d.R.) machst, beginnt der Tag mit der richtigen Ausrichtung, wunderschön!

Thomas: Manchmal heißt es, wir können gar nicht so viel entscheiden, im Grunde gibt es nur die Entscheidung für den Weg oder eben nicht.

Soham: Ja, und diese Entscheidung haben wir bereits getroffen, als wir in dieses Leben kamen. Zwischendurch haben wir das vergessen. Wir gehen hierhin und dorthin und verwickeln uns in Dinge, die wichtig scheinen.

Thomas: Und dann führt uns der Weg wieder nach Hause.

Soham: Der Weg verschwindet ja nicht, es geht darum, sich zu erinnern. Die Meditation ist ein Hilfsmittel mit enormer Kraft, das uns hilft, uns zu erinnern. Was währenddessen geschieht ist: Inneres Wissen wird zu einem Teil von uns, zu etwas, das wir nicht verlieren können. Es geschieht nach und nach und so subtil, dass man es kaum merkt. Dieses innere Wissen wird allein dadurch übertragen, dass wir die Meditation machen (die Samarpan-Meditation A.d.R.).  Wir meditieren jeden Morgen eine halbe Stunde und für den Rest des Tages bleiben wir mit der Aufmerksamkeit bei dem Kronen-

Chakra. Man vergisst das natürlich immer wieder, aber dann kommt man einfach zurück.

 

Thomas: Waren deine Aufenthalte in Indien die erste tiefe Begegnung mit der indischen Spiritualität? Oder war dir das schon vertraut? 

Soham: Bevor ich nach Indien fuhr, habe ich die Autobiografie von Swamiji gelesen und bin mit Begriffen konfrontiert worden, die ich bis dahin beiseite geschoben hatte, weil ich dachte: „Ach, Quatsch!“. Swamiji benutzt Begriffe wie Seele, Paramatma, Guru-Energien und Karma. Aber es geht nicht darum, neue Religionen oder Theorien kennenzulernen. Im Gegenteil: Es spielt keine Rolle, in welche Religion du hinein geboren wurdest. Jede Religion führt zum gleichen Platz – ich nenne das die ,menschliche Religion‘. Wenn du einmal an diesem Platz bist, ist es egal, auf welcher Leiter du dorthin gekommen bist. Swamiji ist als Hindu geboren, ich als Katholik. Ich bin Mohammedanern begegnet, Jains*. 

All das spielt keine Rolle.

Thomas: Siehst du die Tendenz, dass eine globale Menschheitsreligion entsteht, die sich von Dogmen löst und mehr das Wesentliche berührt?

Soham: Ja, das nenne ich ‚menschliche Religion‘. Es geht aber nicht darum, sich von etwas wegzubewegen und etwas Neues zu formieren. Ab einem bestimmten Punkt kannst du jede Religion respektieren. Und du kannst erkennen, dass jede Religion für genau die Menschen nützlich ist, die dieser Religion angehören, um zur Erlösung zu kommen.

Thomas: Lass uns bitte noch einmal versuchen, die Menschen zu erreichen, die das erste Mal von Erleuchtung hören und sich im Herzen angesprochen fühlen. Menschen, die vielleicht im Stress sind und sich mehr Frieden wünschen.

Soham: Bei all dem geht es um Gedanken. Es ist gar nicht natürlich, dass wir denken. Die Natur denkt nicht. Vögel denken nicht. Tiere denken nicht. Sie machen sich keine Sorgen um die Zukunft und sie schwelgen auch nicht in der Vergangenheit. Sie sind einfach präsent. Unsere Probleme sind mental. Wenn wir in der Gesellschaft leben, was wir ja tun, dann leben wir in riesigen Wolken von Gedankenverschmutzung. Wir sprechen von Umweltverschmutzung, Elektrosmog, von allem Möglichen, aber nicht von Gedankenverschmutzung. Wenn wir aufhören zu denken, nehmen wir wahr, dass es keine Probleme gibt. 

Thomas: Jetzt mögen die Leser sagen: „Ja aber Moment! Es ist doch wunderbar, einen Verstand zu haben.“

Soham: Ja, das ist es. All die Formen, in denen wir uns bereits manifestiert hatten, sind wunderschön und einmalig, aber um die Wahrheit zu erkennen, müssen wir als Mensch inkarnieren. Es ist der Intellekt, der Verstand, der das Erkennen ermöglicht und es ist der Intellekt, der es verhindert. (Lachen) Deswegen brauchen wir Unterstützung. Deswegen brauchen wir Gurus (spirituelle Lehrer, A.d.R.): um uns zu helfen, stabil zu bleiben, denn diese Welt scheint real zu sein, unsere Probleme scheinen real zu sein und das ist schmerzhaft. Wir hängen an Dingen und Identifikationen und allem Möglichen. Wir ziehen wegen diesen Dingen sogar in den Krieg! Wir gehen wegen verschiedener Gotteskonzepte in den Krieg. Das ist verrückt!

Thomas: Ja, der Verstand ist da und wenn er nicht zum Herren wird, sondern ein Werkzeug ist, dann ist es ja ok.

Soham: Absolut. Es spricht überhaupt nichts 

dagegen, diesen hervorragenden Intellekt zu nutzen.

Thomas: Im Satsang wird manchmal auch etwas übertrieben gesagt: Die Materie, die uns umgibt, existiert nicht. Geht es letztendlich darum, sie nicht als einzige Realität anzusehen?

Soham: Nehmen wir doch einfach einmal an, alles sei ,real‘, es scheint zumindest real zu sein. Ich komme also in diesen Körper und er scheint real zu sein. Aber er ist kurzlebig, ich selbst werde bald 78 Jahre alt. Ich bin also fast am Ende dieses einen Lebens. Ich kann einen Schritt zurück gehen und dann erkenne ich, dass ich davor schon ein Leben hatte, und davor eines und da davor ebenfalls. Allein diese Erkenntnis ist für die meisten Menschen zu viel. Sie denken, man kommt auf die Welt, man stirbt und geht in den Himmel oder in die Hölle. Im Osten, in Indien, glaubt man seit jeher an Reinkarnation. Nun, da können wir beruhigt einschlafen und sagen: „Jaja, das erledigt sich im nächsten Leben. Ich muss mich jetzt um nichts kümmern.“ Jesus wiederum sagt: „Nein! Jetzt!“ Das ist es! Wir brauchen dieses Feuer, wir brauchen diese Unmittelbarkeit. Wir können dieses ‚Lalilala‘ loslassen, wir müssen es loslassen, sonst träumen wir einfach immer weiter. Das sind also zwei ganz unterschiedliche Ideen. Es ist hilfreich, wenn man es versteht und nutzt, indem man sich fragt:  „Ok, was bleibt in diesem einen Leben?“ Nehmen wir an, dass wir mehrere Leben zur Verfügung haben, dann kann und muss ich wiederkommen, wenn ich es jetzt nicht vollbringe. Wenn ich wiederum glaube, dass dies das einzige Leben ist, dann sollte ich jetzt dem Göttlichen in mir begegnen!

Thomas:  Eigentlich ist nur das Hier und Jetzt real, also kann ich auch Hier und Jetzt etwas tun, bzw. sollte ich etwas tun!

Soham: Genau! Das ist etwas ganz Praktisches. Es geht darum, worauf ich meine Kraft richte, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte. Die meisten suchen vorübergehendes Vergnügen, vorübergehende Befriedigung und die Enttäuschung, die darin liegt, kennen wir alle. Du arbeitest auf irgendetwas hin, du gibst alles, um es zu erreichen und dann ... ok ... und was nun? Nur, indem du Gott in dir begegnest, findest du das, was du suchst. Und wenn du Gott in dir findest und den Rest deines Lebens damit verbringst, Gott in dir zu ehren, dann ist es ein gutes Leben.

Thomas: Vielen Dank, Soham, das ist sehr hilfreich! Zwischendurch fühle ich einfach diese Stille und dieses Hiersein und in mir sind keine Worte mehr nötig. Danke dir.

 

* Jainismus: In Indien beheimatete Religion, 5.- 6. Jahrhdt; Gründer Mahavira. Für die Jains, die an keinen Gott glauben, gilt Karma als der Grund für Geburten und Wiedergeburten. Besonders wichtig ist im Jainismus das Konzept Frieden und Gewaltlosigkeit. 

* Guru: Spiritueller Lehrer (Hinduismus)