Das ist der letzte Riss, der durch die Welt verläuft, die ich bin. Und mich ein weiteres Mal gespalten sein lässt: Wie kann ich mich als spirituelles Wesen vor dieser Welt in Sicherheit bringen? Wie kann ich als geistig-spirituelles Wesen in einer Welt überleben, der es um Dinge geht, um die es mir nicht (mehr) geht? Um Dinge, die ich bereits durchschaut habe. Wie kann ich in einer Welt überleben, die das Materielle anbetet und das Spirituelle übersieht? Wie kann ich mich in einer solchen Welt mir selbst gemäß ausdrücken?
Indem Du diesen Irrtum in Dir selbst aufdeckst. Das, was an einem Ende wie Materie aussieht, ist am anderen Ende Geist. Und dieser Geist demonstriert sich selbst. Er zeigt, wie er die von ihm erlebte Welt begreift! Es kommt also darauf an, was Du in der Welt siehst – wie sie auf Dich wirkt. Vielleicht hörst Du Deine Frage jetzt ganz anders und entdeckst, dass ihr ein angstvoller Widerspruch zugrunde liegt. Und dieser Widerspruch befindet sich im Geist. – Er träumt von einer Welt, in der es so ist, wie er es sich vorstellt. Damit wird klar, dass auch alle spirituellen Konzepte nicht durchschaute Vorstellungen sind. Die an sich selbst festhalten und sich dabei auch noch für „die Wahrheit“ halten. Wenn mich solche Konzepte nicht mehr anziehen, begegnet mir zum ersten Mal die eigene Hilflosigkeit. Ich bin hilflos an mich als Erleben ausgeliefert. Und ich kann mich vor mir und der Welterfahrung nicht in Sicherheit bringen.
Verstehe, dass es allein um die Welt geht, die Du als Deine Wirklichkeit erfährst. Und lasse Dich voll auf sie ein. Lebe, als gäbe es nichts anderes zu tun. Weil es so ist! Wir sind – das ist die eine unumstößliche Tatsache, die sich selbst erleben will. Mehr wissen wir nicht.
Die Tatsache, dass wir überhaupt wahrnehmen können, setzt Dualität voraus. Etwas taucht auf und wird gesehen. Ohne die Zweiheit gäbe es nichts über das jemand etwas sagen könnte, weil keine Wahrnehmung existieren würde. Ich könnte mich und die Welt schlicht nicht erleben. Da ich das aber „kann“, bin ich nichts und alles in Einem. Ich erlebe mich. Hierin gibt es noch keine Spaltung.
Eine Katze existiert in der Dualität, erlebt sich selbst aber ohne Spiegelbild – nondual. Damit kann sie nicht vor sich selbst auftauchen und auch nicht eigenständig werden. Sie existiert einfach und folgt den Programmen, die ihr angeboren sind. Eine Katze hat kein Problem mit sich selbst, weil sie keinen bewussten Umgang mit sich selbst hat. Damit kann sie keinen Unterschied zwischen sich und dem machen, was ihr widerfährt. Und sie kennt kein schlechtes Gewissen. Auch wenn sie Schmerz leidet, krank ist oder misshandelt wird, ist sie einfach in allem „drin“. Sie kann sich nicht von sich selbst als Erfahrungswirklichkeit trennen. Durch die Katze erlebt Schmerz sich selbst „Ohne Katze“, wenn Du so willst. Wenn der Schmerz geht, bleibt nichts zurück, was an ihn erinnert. Damit ist und bleibt die Katze in der reinen Erfahrung ihres Katzendaseins, ohne davon zu wissen. Und ohne sich dafür einsetzen, es verteidigen oder sich dafür rechtfertigen zu können oder zu müssen.
Wir Menschen aber haben Bewusstsein und nehmen uns und alles, was uns erscheint, getrennt von uns selbst wahr. – Ich erlebe mich. – Damit kreiert sich Andersartigkeit. Im materiellen Überlebensmodus interpretieren wir Andersartigkeit als Fremdheit und damit als eine potenzielle Bedrohung. Abgrenzung ist das Ergebnis, das zu allen menschlichen Problemen führt. Und nicht nur das: Wir grenzen uns auch gegen uns selbst ab. Weil wir auch uns selbst fremd sind. – Und zwar immer dann, wenn wir auf eine erhöhende oder erniedrigende Form über uns selbst nachdenken!
Bewusstsein ist verantwortlich dafür, dass wir uns als „Etwas“ empfinden, das von etwas „Anderem“ umgeben ist. Ich erlebe mich als „Mensch“ in der „Welt“. Und in dieser Welt sehe ich die Katze. Wenn es kein Bewusstsein gäbe, würde mir die Katze nicht erscheinen. Sie erscheint in mir und unterscheidet sich in mir von mir und dem Rest der Welt. Bewusste Wahrnehmung ist das Ergebnis der menschlichen Fähigkeit zu differenzieren.
Die Welt entsteht also im Bewusstsein und wird dort auch wahrgenommen. Da das Gehirn unterscheiden muss, denkt es in Gegensätzen, polar: heiß – kalt, hungrig – satt, materiell – spirituell … Durch diese erste Orientierungsmöglichkeit haben wir gelernt, Dinge und Zustände unterscheiden zu lernen. Das ist der Ausgangspunkt. Doch Bewusstsein entfaltet sich weiter. Es selbst ist, was sich durch jede Weiterentwicklung tiefer und umfassender verwirklicht!
Ich nenne die Fähigkeit, andere Hüllen des Bewusstseins zu betreten, Liebe. Die Liebe sagt, Ich bin alles. Die Weisheit sagt, Ich bin nichts. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben.
Nisargadatta Maharaj
Und im Laufe dieser Verwirklichung taucht das Unbewusste im Bewusstsein auf! Ohne das Unbewusste gäbe es kein Bewusstsein, weil Wahrnehmung nur vor dem Hintergrund der Nichtwahrnehmung geschehen kann. Etwas, das erscheint, tut dies in einem Raum, der selbst nicht hervortritt und damit selbst nicht erscheint. Oder anders: Das Sichtbare braucht das Unsichtbare, um sichtbar werden zu können. – Es braucht den unbesetzten Raum. Raum-an-sich.
Was können wir über uns sagen, wenn wir das wissen?
Wenn Nisargadatta davon spricht, dass Weisheit ihm sagt, dass er nichts sei, geht diese Annahme auf genau diese Einsicht zurück: Wir sind nichts ohne Bewusstsein. Allerdings ist Bewusstsein nichts, was eigenständig auftreten kann. Es braucht einen Raum. Niemand kann auf einer Bühne etwas darstellen, wenn es keinen Raum für die Bühne gibt. Wenn die Bühne abgebaut wird, ist der Raum immer noch da. Deshalb ist der Raum wirklicher als das, was in ihm erscheint. Im Raum zeigt sich das, was sich wandelt, das, was kommt und geht. Und dieses Wandelbare ist ebenfalls, was ich bin! Ich bin der Raum, in dem ich mir als Lebenswirklichkeit erscheine!
„Die Liebe sagt, ich bin alles.“ Die Fähigkeit andere Hüllen des Bewusstseins zu betreten, nennt Nisargadatta Liebe. Damit ist der Akt der Identifikation gemeint. Dass es überhaupt dazu kommt, dass aus dem Unbewussten der Formlosigkeit etwas auftaucht, dass sich selbst empfinden und wahrnehmen kann, ist, was Liebe ist.
Wir als Verkörperungen des Bewusstseins sind also Kinder der Liebe. Hier ist etwas, dass sich selbst erkennen will! Bewusstsein in Form von Dir! Wahrnehmung entsteht immer durch eine scheinbare Zweiheit. Dem Unbewussten wohnt also der Wille nach Bewusstsein bereits inne. Es will sich erleben und sehen! Es will zu sich kommen. Und genau das findet gerade statt. In Dir.
Das Unbewusste, Formlose, Unaussprechliche tritt sich selbst als Ich, als Du, als er oder sie entgegen und sagt dazu „Ich“. Und dieses „Ich“ ist sein eigenes absolutes Zentrum. Nur so kann es sich in Erfahrung bringen. Nur so kann es sich wirklich entdecken – und „zu sich werden“. Das „Ich“ bildet den Ausgangspunkt für die uns bekannte Welt der Verschiedenheit und Dinge, der Erscheinungen, der Gefühle, Gedanken und Probleme. Doch die Probleme entstehen nur aufgrund unserer einseitigen Sichtweise. Wir halten uns abwechselnd entweder für zu viel „Nichts“ oder für zu viel „Etwas“ – ohne Verbindung dazwischen. Deshalb sagt Nisargadatta: „Die Liebe sagt, Ich bin alles. Die Weisheit sagt, Ich bin nichts. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben.“
Zwischen diesen beiden fließt mein Leben. Ja – wenn wir uns beider Pole in uns selbst bewusst sind, vereinen sie sich zu innerer Einheit, die kein Außen mehr kennt. Dann wird aus diesem Leben wirklich ein Leben, das vollkommen in sich aufgeht. Wir sind „Nichts“, dass sich in bewusster Form als „Alles“ erfährt. Und das Bindemittel ist „nichts als Liebe“.
Was nichts anderes heißt als: Du kannst Dich erst in Deinem vollen Potential erleben, wenn Du nichts mehr von Dir abspaltest. Damit wirst Du, was Du bist. Ein geistiges Wesen, dass sich sich selbst gemäß ausdrückt. Und eben das geht nur in der Welt, die in Dir auftaucht! – Darum: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein. (Jesaja 43,1) – Und damit bist Du nichts anderes als das, was Furchtlosigkeit ist!
Diese Furchtlosigkeit in Dir zu entdecken – diese Entdeckung überhaupt für möglich zu halten, erlöst Dich nach uns nach aus den Fängen eines Erlebens, das sich permanent selbst widerspricht und auf der Ebene dieses Widerspruchs nach Lösungen sucht, die dort schlicht nicht zu finden sind …